Liebe Leserinnen und Leser,
im Jahr 2023 wurde deutschlandweit 175 Jahre Märzrevolution gefeiert. Mit Festakten, Vorträgen und Ausstellungen wurde an eine Revolution erinnert, die vielen Menschen in Deutschland in ihrer Bedeutung nicht bewusst war: Es ging damals um nicht weniger als das Ziel, Preußen in die Verfassungsstaatlichkeit zu überführen. Dieses Ziel war mit einer zweiten Aufgabe verbunden, die in der zeitgenössischen Beobachtung sogar als wichtiger gedeutet wird: Eine soziale Revolution. Diese Revolution hat die Grundlage für ein demokratisches Europa gelegt und hat somit einen riesigen Einfluss auf unser heutiges Leben und unseren politischen und sozialen Herausforderungen.
Worauf wir in Köln besonders stolz sind: Die Revolution begann im Rheinland! Da lag es nahe, der Märzrevolution auch in Köln würdig zu gedenken: Am 4. März 2023 feierte die SPD Region Mittelrhein im Rahmen einer Veranstaltungsreihe eine Matinee in der Volksbühne am Rudolfplatz, um an die Revolution und die Akteure zu erinnern.[1]
In der vorliegenden kleinen Festschrift haben einige unserer Gäste der Matinee ihre Beiträge verschriftlicht. Herzlichen Dank an unsere Festredner Dr. Jürgen Herres, den SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Dr. Rolf Mützenich, den DGB-Vorsitzenden Witich Roßmann, sowie die musikalischen Gäste: Rolly Brings, die Band Grenzgänger, das Trio Da Tre um Julia Berg und das Trio Roland, Laurent et Mario vom Kölnischen Stadtmuseum. Mit ihren Beiträgen können wir die Geschehnisse besser nachvollziehen, bekommen einen Einblick in die Arbeiterbewegung und die Lebenswege einzelner Akteure. Die musikalischen Beiträge sind ein tolles Beispiel für die Bewahrung von (Kölschem) Kulturgut. Die Schauspieler Gerlando „Gilly“ Alfeo als Karl Marx und Laurenz Leky als Andreas Gottschalk haben uns mit viel Humor ein fiktives Streitgespräch der Akteure dargestellt. Herzlichen Dank auch an die Historikerin und Publizistin Irene Franken für ihren Vortrag, sowie an die Moderatorin Judith Schulte-Loh. Die Moderation von Frau Schulte-Loh sowie ihr Mitwirken in unserem Sketch „Hart aber Unfair” haben nicht nur mir, sondern auch dem gesamten Publikum große Freude bereitet. Durch ihre wunderbare Führung am Vormittag hat sie uns durch das Programm begleitet und mit ihrer Perspektive wichtige Denkanstöße geliefert. Irene Franke hat in ihrem Vortrag über Franziska Mathilde Anneke einen bedeutenden Blick auf starke Frauenrollen vermittelt. Ihr Mitwirken war ein wertvoller Beitrag für unsere Matinee. Gerne hätte ich mehr Beiträge aus weiblicher Perspektive auf die 1848er Revolution in die Festschrift aufgenommen; dies war zurzeit leider nicht realisierbar.
Das Rheinland mit Köln als Startpunkt der Revolution in Preußen
Aber was genau geschah damals in Köln und im Rheinland? Wie konnte von hier aus die Revolution beginnen?
Im März 1848 wurden in Preußen die ersten Rufe nach einer politischen Neugestaltung im Rheinland laut. Zwar war der preußische König Friedrich Wilhelm IV. zu spektakulären Zugeständnissen bereit und berief den Kölner Bankier Ludolf Camphausen (viele Jahre Mitglied des Rates der Stadt Köln) zum Ministerpräsidenten und den Aachener Bankier David Hansemann (viele Jahre Mitglied des Rates der Stadt Aachen) zum Finanzminister. Zwei Symbolgestalten der rheinischen Opposition im Vormärz erhielten damit die Aufgabe, Preußen in die Verfassungsstaatlichkeit zu führen. Doch am Rhein lehnte man die angestrebte Verfassung nach belgischer Art – eine konstitutionelle Monarchie mit einem plutokratischen Wahlrecht – ab, und es setzte eine „demokratische“ Petitionsbewegung ein: Diese forderte das allgemeine (Männer-)Wahlrecht, das nach einigen Debatten zu einem indirekten Wahlrecht mit sogenannten Wahlmännern umgewandelt wurde.
Die soziale Komponente der Revolution war im Rheinland und besonders in Köln gefordert worden: Zwar wurden in mehreren rheinischen Städten wie Aachen in eher vom Bürgertum bestimmten Versammlungen verfassungspolitische Reformforderungen (liberale/konstitutionelle oder demokratische) an den König formuliert. Doch nur in Köln formierte sich, trotz drei solcher bürgerlichen Versammlungen an einem einzigen Tag, dem 3. März 1848 und somit Tag nach Weiberfastnacht, zusätzlich von der Kölner Südstadt her ein Zug von Arbeitern zum Rathaus. Im Gepäck: Vor allem soziale Forderungen. Die Teilnehmenden waren zunächst nur einige Hundert, wuchsen später aber auf 2.000 bis 5.000 an und wurden vom Arzt Andreas Gottschalk angeführt.
Die Forderungen der Demonstrierenden, die sogenannten „Forderungen des Volkes“, gingen über die üblichen Märzforderungen – wie sie in Süddeutschland Ende Februar formuliert wurden – hinaus: Ohne Umschweife wollten sie Gesetzgebung und Verwaltung durch das Volk. Ferner verlangten sie den Schutz der Arbeit und Sicherstellung der menschlichen Bedürfnisse für alle und forderten die vollständige Erziehung aller Kinder auf öffentliche Kosten. Während der Demonstration selbst tauchte auf einigen handgeschriebenen Flugblättern der Wunsch nach Friede mit allen Völkern als weitere Forderung auf. Die Forderungen waren somit viel weitreichender und vor allem sozialer als in anderen Teilen Preußens.
Im Rathaus appellierte Gottschalk an die Ratsmitglieder, auch die Arbeiter:innen und ihre Nöte zu berücksichtigen und auch für den Vierten Stand frei ihre Stimme zu erheben sowie für Sicherstellung des Lebens der Arbeitenden einzutreten. Trotz der vielen gemeinsamen Forderungen gab es aber auch unterschiedliche Interessen: Auf dem Rathausvorplatz wurde aus der Menge auch gerufen: „Die Fremden nehmen uns die Arbeit weg!“ und „Die Maschinen müssen abgeschafft werden“. Die Kölner Arbeiterdemonstration machte auf die öffentliche Meinung in Preußen einen tiefen Eindruck. Das unerwartete und frühe Hervortreten eines sozialen Arbeiter-Radikalismus bestätigte die schlimmsten Befürchtungen der gemäßigten bürgerlichen Mitte. Diese Demonstration machte unübersehbar deutlich, dass die Revolution von Anfang an auch einen sozialen Charakter hatte. Deshalb kommt der Kölner Arbeiterdemonstration eine besondere Bedeutung zu. Mehr zu den Geschehnissen sind in dieser Festschrift zu finden.
Die Märzrevolution von 1848 und unsere heutigen Herausforderungen
Einige der Forderungen der Märzrevoluzzer machen auch heute noch nachdenklich: Können wir in der Bundesrepublik, in Nordrhein-Westfalen, wirklich sicherstellen, dass die menschlichen Bedürfnisse aller Menschen gesichert sind?
Geben wir allen Kindern – unabhängig vom Einkommen der Eltern – die Chance auf eine optimale Bildung? Wie ist es um den Frieden in Europa und der Welt gestellt? Bei den aktuellen Debatten zu diesen grundlegenden Themen scheint es oft, als würden wir uns in den eigenen Meinungen verschanzen, als wäre eine offene und konstruktive Auseinandersetzung gar nicht mehr möglich. Doch ich bin überzeugt: Das könnte auch anders gehen – wie wir unter anderem von den Akteuren von 1848 lernen können:
Das Bedeutsame an der Revolution war das Ringen aller Gesellschaftsgruppen um die Gestaltung von Freiheit, Nationalität und sozialer Sicherheit. In endlosen Diskussionen wurden Inhalte erarbeitet, abgeändert, gestrichen oder hinzugefügt. Bedeutende Intellektuelle brachten sich genauso ein wie einfache Arbeiter:innen. Und all dies unter den schwierigsten Bedingungen: Köln befand sich in einer tiefen Immobilien- und Bauspekulationskrise; die Menschen waren Entlassungswellen in verschiedenen Industrien ausgesetzt; Lebensmittelpreis stiegen derweil an und kleinere Handwerker, Bauern und Tagelöhner litten aufgrund der Industrialisierung unter schlechten Lebensverhältnissen.[2]
Die schwierigen Bedingungen können wir aus heutiger Sicht teilweise überraschend gut nachvollziehen: Die raschen Veränderungen, die heute die europäische Einigung und die Globalisierung mit sich bringen, haben unsere Sinne geschärft für Konfliktlagen, die soziale, wirtschaftliche und politische Wandlungsprozesse hervorrufen können, und für die Herausforderungen, vor die sie Gesellschaften stellen. Die Banken-, die Klima- und die Coronakrise, danach nicht zuletzt die mit dem Begriff „Zeitenwende“ durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ausgelösten Energie-, Inflations-, Globalisierungs- und Wirtschaftskrise beschäftigen uns sowohl privat als auch beruflich. Die terroristischen Anschläge der Hamas auf Israel und die antisemitischen und rassistischen Angriffe in Deutschland erschüttern und zeigen, dass auch heute – mehr denn je! – um die Grundrechte von Menschen gekämpft werden muss.
Unsere heutigen Erfahrungen lassen indes erahnen, wie die Zeitgenoss:innen die noch viel einschneidenderen Veränderungen in der Zeit des Vormärz und der Jahre um die Revolution herum, mit all der Unfreiheit und Regression die uns heute fremd sind, wahrgenommen haben müssen.
Die Märzrevolution von 1848, die Zeitgenoss:innen und vor allem ihre herausragenden Bemühungen für eine solidarischere Gesellschaft sind uns daher heute näher als je.
Ich freue mich, dass wir dies in der Volksbühne am Rudolfplatz gemeinsam feiern konnten. Mein herzlicher Dank gilt allen, die die Matinee am 04. März 2023 ermöglicht haben:
Den SPD-Unterbezirken aus der Region Mittelrhein und ihren Vorsitzenden, dem Regionalgeschäftsführer der SPD-Mittelrhein Frank Mederlet, der SPD-Fraktion im Landschaftsverband Rheinland, der SPD-Fraktion im Regionalrat, den SPD Frauen (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen AsF) Mittelrhein, der Irene und Sigurd Greven-Stiftung, dem DGB Stadtverband Köln, dem Carl Schurz Kreis, dem Kölnischen Stadtmuseum, der Volksbühne am Rudolfplatz, der Falkengruppe um Robert Blum und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ohne eure Unterstützung wäre vieles in diesem Jahr nicht möglich gewesen.
Herzlichen Dank auch an mein Team, das mich bei der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung am 04. März, sowie bei der Zusammenstellung der Festschrift unterstützt hat.
Voller Trauer mussten wir in diesem Herbst Abschied nehmen von unserem Kollegen und Freund Jörg Mährle, der nach kurzer Krankheit verstorben ist. Jörg hat im Rahmen seiner Arbeit als Regionsgeschäftsführer der DGB für Köln-Bonn das Erinnern an die Revolution gemeinsam mit uns erarbeitet und vorbereitet. Wir gedenken ihm in aufrichtiger Verbundenheit.
Ich hoffe, dass die kleine Festschrift uns alle dazu motiviert, weiterhin gemeinsam an einer solidarischen Gesellschaft zu arbeiten.
Jochen Ott (Vorsitzender der SPD Mittelrhein) im Januar 2024
[1] Weitere Veranstaltungen wurden beispielsweise von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert; die Falkengruppe Robert-Blum aus Köln hat für ihren Namensgeber eine Kranzniederlegung veranstaltet.
[2] Vgl. hier auch den Beitrag von Witich Roßman in der vorliegenden Festschrift.
Hier findet ihr die vollständige digitale Version unserer Dokumentation: